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Verfahren

Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

(Bild: © VwGH) (Bild: © VwGH)

Gemäß § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Entscheidung: VwGH 29. 5. 2018, Ra 2018/15/0023
Normen: § 46 VwGG; § 308 BAO

Ein Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung ist dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Das Versehen einer Kanzleiangestellten eines Rechtsanwalts ist dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungs­pflicht gegenüber der Kanzleiangestellten verletzt hat. Ein berufsmäßiger Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristge­rechte Setzung von – mit Präklusion sanktionierten – Prozess­handlungen gesichert erscheint. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen ua dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Das, was der Wiedereinsetzungswerber in Erfüllung seiner nach der Sachlage gebotenen Überwachungs­pflicht vorgenommen hat, hat er im Wiedereinsetzungs­antrag substantiiert zu behaupten. Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene oder zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Parteienvertreter nicht zuzumuten, will man seine Sorgfalts­pflichten nicht überspannen.

Wenn allerdings in keiner Weise dargelegt wird, ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte bzw wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristge­rechte Setzung von Vertretungs­handlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor.

Die Fristversäumung im vorliegenden Fall beruhte auf einem Versehen einer Kanzleiangestellten im Rahmen rein technischer (manipulativer) Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken. Eine regelmäßige Kontrolle derartiger Vorgänge ist nicht zuzumuten. Die Fristversäumung beruhte daher auf einem Verschulden, das einen minderen Grad des Versehens nicht überschreitet.

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