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Univ.-Prof. Dr. Michael Tumpel studierte Betriebswirtschaftslehre an der WU Wien. Bereits während seines Doktoratsstudiums war er als Universitätsassistent am Institut für Finanz­recht der WU Wien tätig, von 1993 bis 1997 am Institut für Recht der Wirtschaft der Universität Wien. (Bild: © Linde Verlag) Univ.-Prof. Dr. Michael Tumpel studierte Betriebswirtschaftslehre an der WU Wien. Bereits während seines Doktoratsstudiums war er als Universitätsassistent am Institut für Finanz­recht der WU Wien tätig, von 1993 bis 1997 am Institut für Recht der Wirtschaft der Universität Wien. (Bild: © Linde Verlag)

Tumpel ist Leiter des Instituts für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und stellvertretender Leiter des Forschungsinstituts für Steuer­recht und Steuermanagement. 2007 absolvierte er einen Forschungsaufenthalt in New York und war Global Tax Research Fellow an der New York University School of Law. Anlässlich des „Bundesfinanz­gerichtstages 2018 – Trends in der Rechtsprechung“ (3. und 4. 10. 2018, Universität Linz) baten wir ihn zum Interview.Das Interview auf YouTube

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BFGjournal: Nach 2016 findet der Bundesfinanz­gerichtstag bereits zum zweiten Mal an der Universität Linz statt. Welche Bedeutung hat die Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis (Gerichtsbarkeit)? Welche Vorteile und Synergien ergeben sich dabei und warum ist die Kooperation zwischen dem BFG und der Lehre gerade in Linz derart ausgeprägt?

Michael Tumpel: Die Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis ist zentral für unsere Forschungsarbeit, aber auch für die Ausbildung der Studierenden an der Universität Linz. Wir haben den regelmäßigen Kontakt mit Richterinnen und Richtern des BFG (und davor des UFS) als Vortragende und bei Veranstaltungen über viele Jahre hinweg verfolgt. Univ.-Prof. Dr. Walter Summersberger ist Mitglied des JKU Tax-Teams (aus den Instituten Finanz­recht, Steuer­recht und Steuerpolitik sowie Betriebswirtschaftliche Steuerlehre der Universität Linz) und gleichzeitig Richter des BFG. Er garantiert dadurch die besonders enge Kooperation mit dem BFG und hat den BFG-Tag an der Universität Linz federführend organisiert.

BFGjournal: Ab dem Jahr 2020 besteht die Möglichkeit, nach § 118 Abs 2 Z 4 BAO Auskunfts­bescheide (Advance Ruling) auch im Zusammenhang mit Umsatz­steuerfragen einzuholen. Wie stehen Sie dazu?

Michael Tumpel: Grundsätzlich begrüße ich es sehr, dass auch im Zusammenhang mit Umsatz­steuerfragen die Möglichkeit von Auskunfts­bescheiden geschaffen wird. Wie sich aufgrund der Judikatur des EuGH zu Advance Tax Rulings der skandinavischen Staaten zur Mehrwert­steuer zeigt, lassen sich mithilfe dieses Instruments wesentliche Fragen der Praxis vorab verbindlich regeln. Gerade im Bereich der Umsatz­steuer kommt es vielfach nicht darauf an, ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen, sondern überhaupt zu einem verbindlichen Ergebnis zu gelangen, das im Massen­verfahren zur Rechtssicherheit führt. Der Praxis wäre am meisten geholfen, würden die Anfragen schnell (tatsächlich und nicht nur tunlichst innerhalb von zwei Monaten) erledigt.

Besonders sinnvoll könnten sich zukünftig aber auch Auskunfts­bescheide über das Vorliegen von Missbrauch erweisen. Ich plädiere schon lange dafür, spezifische gesetzliche Missbrauchsregelungen zu vermeiden, weil diese die Systematik der Steuer­gesetze zerstören und die Komplexität des Steuer­rechts erhöhen, dafür aber die Missbrauchsabwehr iSd § 22 BAO zu verstärken und den Steuer­pflichtigen gleichzeitig Rechtsicherheit durch Advance Ruling zu verschaffen.

BFGjournal: Die Rechnungsmerkmale im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug sind immer wieder in Diskussion und wurden auch von Ihnen thematisiert. 1 Aktuell haben sich etwa zum Umfang der Nachforschungs­pflichten bei formellen Mängeln einer Rechnung zunächst der EuGH 2 und sodann der BFH 3 dafür ausgesprochen, dass selbst Briefkastenadressen als Anschriften iSd Art 226 MwStSyst-RL anzusehen sind, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Wie stehen Sie zu diesen Tendenzen?

Dr. Angela Stöger-Frank, die Leiterin des Evidenzbüros des BFG, im Interview mit Prof. Michael Tumpel. (Bild: © Linde Verlag)
Dr. Angela Stöger-Frank, die Leiterin des Evidenzbüros des BFG, im Interview mit Prof. Michael Tumpel. (Bild: © Linde Verlag)

Michael Tumpel: Steuer­betrug muss im Interesse aller Steuerzahler bekämpft werden. Gleichzeitig müssen aber Unternehmer geschützt werden, die als Steuereinsammler für den Fiskus fungieren und durch Betrüger unwissentlich geschädigt werden. In zahlreichen Beiträgen 4 habe ich die allzu formalistische Sichtweise der österreichischen Verwaltungspraxis und Gerichte bezüglich der Rechnungsmerkmale, die weder praxisge­recht ist noch dem Unions­recht entspricht, kritisiert. Mittlerweile hat der EuGH diese Ansicht in mehreren Urteilen bestätigt, und die österreichische Rechtsprechung ist ihm dabei letztlich auch gefolgt.

Vonseiten der Betriebs­prüfung, aber auch der Gerichte, wurde früher stets argumentiert, dass ansonsten schwer zu fassende Betrüger und Mittäter mithilfe der Versagung des Vorsteuerabzugs aufgrund von Rechnungsmängeln leichter zur Kasse gebeten werden könnten, die Ehrlichen aber ohnedies in Ruhe gelassen würden. Eine BFG-Entscheidung, die ich im BFG journal besprechen durfte, 5 zeigt deutlich auf, dass die Richterinnen und Richter des BFG durchaus in der Lage sind, im Rahmen der Beweiswürdigung festzustellen, ab wann ein Unternehmer wissen konnte, dass Steuer­betrug seitens seines Geschäftsp­artners vorlag und der Vorsteuerabzug daher zu versagen war. Das mag zwar manchmal mühsam sein, schützt aber den ehrlichen Unternehmer.

Nachforschungs­pflichten des Unternehmers, ob im Zeitpunkt der Rechnungs­stellung am ange­gebenen Ort tatsächlich die Geschäftstätigkeit ausgeübt wurde, halte ich nicht zuletzt im Zeitalter elektronischer Kommunikation, die weitgehend ortsungebundenes Arbeiten möglich macht, ohnedies für überzogen, sodass ich die von Ihnen angeführte Rechtsprechung sehr begrüße. Der EuGH hat übrigens unlängst darauf hingewiesen, dass aufgrund der Tatsache, dass bei der Geschäftsabwicklung bloß elektronische Kommunikationsmittel benutzt wurden, nicht Steuer­hinterziehung vermutet werden muss. 6

BFGjournal: Welche Entwicklungen werden aus Ihrer Sicht in nächster Zeit national, aber auch international in anderen Bereichen als der Umsatz­steuer im Vordergrund stehen?

Michael Tumpel: In Österreich erwarten wir nach der Ankündigung im Regierungsprogramm eine Steuerreform, die diesen Namen wieder einmal verdient und über eine bloße Tarifanpassung mit Gegenfinanzierungsmaßnahmen hinausgeht. Vor allem von einem neuen EStG würde ich mir wünschen, dass Zöpfe der Vergangenheit abgeschnitten werden und ein möglichst systematisches Gesamtkonzept verwirklicht wird, wodurch unter Verzicht auf Einzelmaßnahmen zur Befriedigung einzelner Lobbys oder zur Verhinderung einer ganz bestimmten Steuergestaltung einfache Regelungen geschaffen werden.

1997 habilitierte sich Tumpel für Finanz­recht und betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Wien. Danach war er außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Recht der Wirtschaft. Seit 2000 ist er Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Linz. (Bild: © Linde Verlag)
1997 habilitierte sich Tumpel für Finanz­recht und betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Wien. Danach war er außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Recht der Wirtschaft. Seit 2000 ist er Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Linz. (Bild: © Linde Verlag)

Auf europäischer Ebene gibt es zahlreiche Initiativen der Kommission, die Mehrwert­steuer weiterzuentwickeln und bestimmte US-amerikanische Unternehmen der Internetbranche steuerlich zu belasten. Die meisten dieser Vorschläge halte ich für nicht zukunftsträchtig, weil sie die Interessen der heimischen Wirtschaft nicht ausreichend berücksichtigen und übersehen, dass sich alle Unternehmen insgesamt in einem digitalen Transformationsprozess befinden.

BFGjournal: An der Universität Linz wurde das „LIT Digital Transformation and Law Lab“ eingerichtet. Welche Aufgaben und Ziele hat dieses Lab? Die Themen Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Robotics betreffen alle Bereiche. Was erwartet uns diesbezüglich in der Rechtswissenschaft? Kommt das digitale Steuer­recht?

Michael Tumpel: Die Universität Linz hat sich vorgenommen, die digitale Transformation umfassend aus technischer, medizinischer, wirtschaftlicher und rechtwissenschaftlicher Sicht zu erforschen und die Unternehmen in dieser kritischen Phase zu begleiten. Auch für unsere Studierenden ist es wichtig, zu verstehen, welche Fähigkeiten und Kenntnisse sie für die digitalisierte Zukunft benötigen. Das JKU Tax-Team wirkt beim LIT-Lab 7 durch Forschung zum Thema „Digital Transformation and Law“ mit. Wir konnten bereits Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen und Kontakte zu Unternehmen wie auch der Finanz­verwaltung finden, mit denen wir beispielsweise in Forschungsworkshops Zukunftsfragen identifizieren und Lösungen erarbeiten.

Das digitale Steuer­recht, wenn Sie so wollen, ist bereits da. Teilweise arbeiten Steuerberatungs­unternehmen heute schon gänzlich papierlos, und die Finanz­verwaltung nutzt Big Data, um Steuer­betrug aufzudecken, um nur zwei Beispiele zu erwähnen, wie sich die Digitalisierung auch in der Steuerwelt durchsetzt. Die Effizienz wird sich aber zukünftig weiter steigern, sodass wir zB Antworten auf Fragen nach der Erosion der Steuer auf Arbeits­einkommen aufgrund der durch die digitale Transformation ausgelösten geringeren Beschäftigung von Menschen finden müssen. Insgesamt müssen wir uns die Frage stellen, ob wir angesichts der von Ihnen beschriebenen technischen Entwicklung – aber auch der Frage des Klimawandels – das Steuersystem völlig neu denken müssen. Wir wollen als JKU Tax-Team dazu unseren Beitrag leisten.

BFGjournal: Ihre Publikationsliste ist sehr lange. Dürfen wir mit einem neuen Werk rechnen?

Michael Tumpel: Wir haben in der Vergangenheit zahlreiche Werke aufgelegt, die einer Neuauflage harren. Noch dieses Jahr kommt der DBA-Kommentar in seiner zweiten Auflage, 2020 wird wohl eine neue Auflage des UStG-Kommentars erscheinen. Für 2018 planen wir anlässlich des einjährigen Bestehens des LIT-Lab ein Handbuch „Digitale Transformation im Wirtschafts- und Steuer­recht“, das den derzeitigen Forschungsstand zusammenfasst.

Der ganze Artikel (BFGjournal 2018, 366) als PDF und bei Lindeonline.

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1) Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?

„Fear: Trump in the White House“ von Bob Woodward.

2) Das größte Vergnügen für mich ist …

… neue elektronische Gadgets auszupacken.

3) Welche Persönlichkeit würden Sie gerne näher kennenlernen?

Yuval Noah Harari, den Autor von „Sapiens: A Brief History of Humankind“ und „Homo Deus: A Brief History of Tomorrow“.

4) Nach der Arbeit …

… höre ich gerne Hörbücher beim Sport oder schaue amerikanische Late-Night-Shows.

1 Vgl etwa Tumpel, Vertrauen in die Richtigkeit von Rechnungsmerkmalen, BFGjournal 2015, 339.

2 EuGH 15. 11. 2017, C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin.

3 BFH 21. 6. 2018, V R 25/15; 21. 6. 2018, V R 28/16.

4 Tumpel/Prechtl, Vorsteuerabzug und EG-rechtlicher Gutglaubensschutz, SWK 31/2006, S 872; Gaedke/Tumpel, Rechnungen im Strudel des babylonischen Sprachengewirrs, SWK 25/2007, S 703; Gaedke/Tumpel, Rechnungsberichtigung bei unrichtigem Steuerausweis, SWK 36/2008, S 964; Tumpel, VwGH zur Rechnungsanschrift, SWK 13/2016, 669; Aigner/Kofler/Tumpel, Vorsteuerabzug trotz fehlerhafter Rechnung, SWK 30/2016, 1294.

5 Tumpel, BFGjournal 2015, 339.

6 EuGH 20. 6. 2018, C-108/17, Enteco Baltic.

Der Linde Verlag ist tätig im Bereich Recht, Wirtschaft und Steuern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Steuerrecht. Erfahren Sie hier mehr über die Verlagsgeschichte, die Programmstruktur und die Kooperationspartner des Hauses.